Metamorphose als Prinzip der Identitätsentfaltung

Das Potenzial des Schmetterlings in uns

„Ich kann ohne Zweifel sagen, dass ich nie etwas Überwältigenderes gesehen habe.“ (Dr. Richard Stringer)
Die Natur mit ihrer Wunderkraft ist wie ein inspirierendes Lehrbuch, aus dem wir für unser eigenes Leben und unsere Prozesse lernen können. Gerade im Kleinen und Unscheinbaren lassen sich die größten Wunder entdecken. Wunder von unendlicher Schönheit, Komplexität, Kreativität und Design. Wunder, die von hauchzarten Flügeln getragen werden, von Insekten, die nicht mehr wiegen als ein Gramm. Jeder einzelne der 20.000 Schmetterlingsarten hat ein anderes Farbmuster und jeder hat anders geformte Flügel.

Welcher Künstler ist in der Lage, sich all dies auszudenken?

Dass ein Schmetterling durch das Raupenstadium geht, um dann diese mysteriöse Schmetterlingspuppe zu werden, aus dem ein fliegendes Wesen hervorgeht, hat die Phantasie der Menschen seit der Antike auf wissenschaftlicher und auf philosophischer Ebene angeregt. Schon vor 3.500 Jahren galt der Schmetterling im antiken Ägypten als Ikone der Schönheit und der vollendeten Form. Für die Azteken und Maja symbolisierte er den Kreislauf aus Leben und Tod. Und für die alten Griechen bedeutete Psyche – ihr Wort für Schmetterling – wörtlich die Seele.
Schon das winzige Ei des Schmetterlings verfügt über eine wunderschöne, symmetrische Architektur, die einer Miniaturkathedrale gleicht. Das Ei wird an einer jeweils spezifisch dafür vorgesehenen Pflanzenart abgelegt. Über kilometerweite Entfernung können die Weibchen die richtige Pflanze mit Hilfe ihres Geruchssinnes aufspüren und dann mit ihrem Geschmackssinn unter Zuhilfenahme von Beinen, Rüssel und Fühlern verifizieren. Nur die passende Wirtspflanze sichert dem Nachwuchs die Nahrungsquelle und das Überleben.

Nach etwa einer Woche schlüpft die Raupe und outet sich als wahre „Fressmaschine“.

Ihr einziger Zweck besteht darin, zu essen und zu wachsen. Lautstark und ausgestattet mit starken Kiefern knabbert sie an ihrem Blatt, um die Rohstoffe für die nächste Entwicklungsstufe aufzubauen. Sie verfügt über einen so großen Verdauungstrakt, dass sie ihr Geburtsgewicht in weniger als zwei Wochen auf das 3.000-fache steigern wird. Im Laufe dieses Prozesses wird die Raupe so groß, dass sie in ihrer ersten Haut nicht mehr genügend Platz findet. Sie beginnt eine neue, größere im Inneren herzustellen. Über Sensoren im Gehirn wird schließlich ein Hormon freigesetzt, das die sogenannte Häutung veranlasst. Das Ganze passiert vier oder fünf mal.
Ihr schnell wachsender Körper besteht aus zwei verschiedenen Zellpopulationen. Lavalzellen bilden die Organe. Imaginalzellen bilden die Vorstufe für Flügel, Beine und Sinnesorgane des ausgewachsenen Schmetterlings. Zum richtigen Zeitpunkt werden diese aktiviert.
Zum Ende des Larvenstadiums, hört die Raupe auf zu fressen. Sie sucht sich einen abgelegenen Ort und spinnt ein Seidenkissen, an dem sie sich in Form eines „J“ beinahe bewegungslos einen oder mehrere Tage hängen lässt. Das ist das Startsignal für verschiedenste chemische Reaktionen, die letztlich zur letzten Häutung führen. In einem faszinierenden Schauspiel dreht sich die Raupe aus ihrer eigenen Haut heraus und verhärtet sich zur Puppe.

Die eigentliche Metamorphose einer Raupe in einen Schmetterling hat begonnen.

Aus einem pflanzenfressenden Kriechtier mit eingeschränkter Sicht und Bewegung, entsteht ein wunderschönes, geflügeltes Insekt, das sich von Nektar ernährt und mit Hilfe eines außergewöhnlichen Orientierungssystems bis zu 80 Kilometer am Tag zurücklegen kann. Diese wundersame Verwandlung ist ein wahres Geheimnis. Doch die Molekular- und Zellforschung hat hier in den letzten Jahren spannende Erkenntnisse gewonnen.
Die Puppe ist so etwas wie die Gussform für den ausgewachsenen Schmetterling. Durch die äußere Puppenschale werden nach und nach die Elemente des Schmetterlings erkennbar. Gleichzeitig verwandelt sich die Raupe in vollkommen neue Strukturen. Zum Beispiel wird man das Facettenauge des Schmetterlings nicht in der Raupe entdecken. Genauso wenig den Rüssel oder die langen, gelenkigen Beine. Alte Strukturen sterben, neue entstehen durch Differenzierung und Vermehrung.

Im Schutzraum der Puppe geht aus dem Tod neues Leben hervor.

Bildlich gesprochen lösen sich die Zellen selbst auf. Ihre Bestandteile werden in ein Gemisch umgewandelt, aus dem der ausgewachsene Schmetterling hervorgeht. Alles ist sorgfältig geplant. Da bestimmte Zellpopulationen erhalten bleiben sollen, muss das Ergebnis schon zu Beginn feststehen – ein wahres Wunderwerk der Natur.
Mit Unterstützung der Kernspintomographie ist es dem Biologen Richard Stringer an der Duke University gelungen, in die Puppe hineinzublicken und die Vorgänge der Metamorphose abzubilden. Schon in der frühen Entwicklung der Puppe konnte man so Elemente des Schmetterlings entdecken und die Formung von Kopf, Gehirn, Beinmuskulatur, Fühlern und Flügeln im Zeitablauf mitverfolgen. Nach und nach traten immer mehr Details hinzu. Der umfangreiche Verdauungstrakt der Raupe verliert Dreiviertel seines Volumens, um sich auf die Ernährung eines Insekts einzustellen, das im Wesentlichen von Nektar ernähren wird. Die Fortpflanzungsorgane des Schmetterlings entstehen vollkommen neu. Das Herz wird so umgestaltet, dass es im Unterleib des Schmetterlings seine neue Verortung findet. Die Facettenaugen übertrumpfen mit einem Vierfarbensystem und einem Sichtfeld von mehr als 180 Grad die Sehfähigkeiten des Menschen. Das Muskelsystems sowie die Werkzeuge zur Nahrungsaufnahme werden komplex geformt und aufgebaut.

In weniger als zwei Wochen entsteht ein völlig anderer Organismus.

Dieser kommt nun zur endgültigen Entfaltung. Nach dem Schlüpfen trifft der Schmetterling letzte Vorkehrungen, um fliegen und fressen zu können. Die Funktionen von Rüssel und Flügeln werden fertiggestellt und dienen als sensorisches Orientierungssystem erster Güte. Verlässt er die Puppe, sind seine Flügel weich wie Samt. Tausende winzig kleine Schuppen sorgen für aerodynamische Effizienz und spektakuläre Muster. Wie Solarkollektoren halten sie die Flugmuskulatur des Kaltblüters auf Temperatur.

Trotz bisher gewonnener Erkenntnisse bleibt Metamorphose ein Rätsel und damit ein Wunder.

Es ist wie mit einer Blackbox. Man gibt eine Larve hinein und heraus kommt ein wundervoller Schmetterling. Wir verstehen nur einen Bruchteil von den Prozessen, welche sich im Inneren dieser Insekten vollziehen. Ich möchte dieses Wunder der Natur mit dem schönsten und zugleich komplexesten Kunstwerk vergleichen. Und es gibt einen Künstler, eine schöpferische Kraft, die die Identität des Schmetterlings zur Entfaltung bringt.

Was wir von der Raupe und vom Schmetterling für unseren Identitätsprozess lernen können...

Auch Identitätsarbeit in Profil- und Veränderungsprozessen ist Metamorphose. Ob als Individuum, Unternehmen oder Organisation – wir gelangen nur dann zu Sinn, Bestätigung und Freiheit, wenn wir unsere individuellen Potenziale entfalten. Wenn wir uns von den Unmöglichkeiten der Raupe hin zu den Möglichkeiten des Schmetterlings verwandeln lassen.
Um den Weisheiten der Metamorphose auf den Grund zu gehen, möchte ich Ihnen zentrale Fragen stellen, die für eine geklärte Identität entscheidend sind. Vielleicht finden Sie sich in der einen oder anderen Frage wieder.
Empfinden Sie sich und Ihr Profil als austauschbar?
Dann könnte es sein, dass Sie sich einfach noch im Raupenstatus befinden. Das ist erst einmal nicht schlimm. Denn alle Potenziale sind bereits in Ihnen vorhanden. Mit Mut, Veränderungswillen und kompetenter Wegbegleitung gelangen Ihre individuellen Talente, Kompetenzen, Werte und Ihr Ansporn Prozessschritt für Prozessschritt ins Leben. Als „Schmetterling“ werden Sie wiedererkennbar und differenzieren sich gleichzeitig von all den anderen „Schmetterlingen“ in Ihrem Umfeld.
Wie gelingt es Ihnen, sich in der Welt oder am Markt bemerkbar zu machen?
Die Metamorphose gibt uns auch hier einen unmissverständlichen Plan vor: Raus aus der Komfortzone der Raupe! Wahrnehmung wird nur finden, wer die Faszination und Schönheit eines Schmetterlings repräsentiert und in Interaktion mit seiner Umwelt tritt. Mit einem klaren Profil fällt das gar nicht so schwer, weil Sinn und Richtung vorhanden sind. Und weil Ihre Interaktionspartner und deren Erwartungen geklärt sind. Selbst manch einem eher introvertierten „Kaltblüter“ unter uns werden die Flügel des Schmetterlings auf produktive Betriebstemperatur bringen. Unser „Flug“ bekommt Leichtigkeit.
Steht Ihnen das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals? Sie wissen nicht, wie sie bei den aktuellen Rahmenbedingungen Ihre Existenz sichern können?
Auch hier könnte es sein, dass Sie sich noch im Raupenstatus aufhalten. Denn eine Raupe allein ist nicht in der Lage, sich fortzupflanzen. Sie kann nur fortbestehen, indem sie sich zum Schmetterling verwandelt. Die Metamorphose lässt Fortpflanzungsorgane entstehen, die neues Leben hervorbringen. Genau so können Sie Ihren Fortbestand nur dann sichern, wenn Sie die destruktiven Anteile der Raupe „verdauen“ und gleichzeitig die konstruktiven Anteile des Schmetterlings in sich vermehren. Veränderungsbereitschaft und empathische Wegbegleitung sollte Ihnen dabei behilflich sein.
Sie fühlen sich von der Dynamik und Kraft der aktuellen Rahmenbedingungen erdrückt? Oder stellen sich die Frage, was Sie als „kleiner Akteur“ schon ausrichten können?
In Ruhe und Besonnenheit liegt bekanntlich die Kraft. Verlassen Sie daher Ihren Raupenstatus und nutzen Sie die Phase der Verpuppung, um innezuhalten und in einem analytischen und strategischen Prozess Klarheit zu gewinnen für sich und ihr Umfeld. Besinnen Sie sich auf Ihre individuellen Potenziale und bringen Sie diese in gesunder Relation zu den Rahmenbedingungen zur Entfaltung. So gewinnen Sie die Selbstsicherheit und Möglichkeiten eines Schmetterlings. Ihre „Flügelspannweite“ verleiht Ihnen Präsenz. Neue Weite tut sich auf, die Ihnen gehört.
Was haben Sie in Bezug auf Ihren Identitätsprozess selbst in der Hand und was geschieht einfach?
Metamorphose als Identitätswahrnehmungsprozess ist ein komplexes Vorgehen. Die wesentlichen Prozesse und das Ergebnis bleiben mitunter ein Geheimnis. Sie entziehen sich immer auch ein Stück weit unseren Möglichkeiten. Wir können sie letztlich nicht erzwingen. Aber wir können sie unterstützen. Manchmal genügt es auch schon, nicht gegen Widerstände in und außerhalb von uns anzukämpfen. Doch es ist unserem freien Willen anvertraut, ob wir den Prozess der Verwandlung zulassen. Um Eigenverantwortung und Hingabe miteinander in harmonischen Einklang zu bringen, sind für mich und meine Arbeit Menschlichkeit, Naturverbundenheit und Spiritualität wunderwirkende Ressourcen. Sie stellen den Prozess der Metamorphose in einen größeren Zusammenhang, der uns als Menschen gleichzeitig auch zutiefst anspricht. Denn wo Schöpfungskraft ihren Ursprung hat, ist auch Raum für das neue Wunder Ihrer Identität.

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Fotos: Andreas Göllner, Ian Lindsay, Perez Vöcking, mika mamy, Myriams-Fotos, GLady, Josch13, Glady, Capri23auto, Krzysztof Niewolny, Gerd Altmann (pixabay.com)

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