27 März | Marke, Führung, Kultur | mindfulbranding
Die charakterstarke Marke als Orientierungsgeber für eine neue Arbeitswelt
Im Gespräch mit Rosemarie Thiedmann, Impulsgeberin & Speaker für erfüllende Zusammenarbeit (www.menschundveraenderung.de)
Permanente und immer dynamischere Transformationen unserer Zeit verändern auch die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Dabei erfordert „New Work“ neben aller Methodik und Strukturen vor allem eine neue Haltung der Menschen, welche die Arbeitswelt der Gegenwart und Zukunft prägen und lebenswert gestalten. Eine charakterstarke Markenphilosophie bietet die gesunde Basis, um den beteiligten Menschen auf dieser Reise einen Orientierungsrahmen zwischen Herkunft und Zukunft zu vermitteln. Und es braucht menschenzentrierte und kompetente Wegbegleiter:innen wie Rosemarie Thiedmann, die Unternehmen und Organisationen dabei begleiten. Mit ihr habe ich im Kontext meines Buchs ein Gespräch geführt.
Was verändert sich für Dich momentan im Wesentlichen in der Arbeitswelt?
Was wir gerade sehr stark merken, ist das Thema Fachkräftemangel, weil der demografische Wandel sich jetzt auswirkt. Die Renteneintrittswelle hat gerade erst begonnen und wird uns noch gut zehn Jahre lang beschäftigen. Die Fluktuation ist hoch. Viele hochkarätige Stellen sind nachzubesetzen. Das ist natürlich die Chance für jeden, der in einer niedrigen Karrierestufe oder in einem niedrigen Lohnsegment ist, sich auf Jobs zu bewerben, die spannender und auch besser dotiert sind. Rund 30 Prozent der Mitarbeitenden sind laut Statistik unzufrieden in ihren Jobs. Rund 53 Prozent liebäugeln aktiv mit einer neuen Stelle. Die Wechselwilligkeit war noch nie so hoch wie jetzt. Und das heißt natürlich für Arbeitgeber, alles Mögliche zu tun, um die Leute zu halten.
Ein weiterer Aspekt ist die künstliche Intelligenz, weshalb jetzt schon Tätigkeiten dem Rotstift anheimfallen und viele Berufsfelder sich drastisch wandeln werden – eine Entwicklung, die gerade erst begonnen hat. Hier werden wir in fünf bis zehn Jahren in ganz vielen Berufssparten eine völlig andere Arbeitswelt haben. Vor dieser dynamischen Entwicklung wird sich niemand verschließen können.
Ein dritter Punkt ist für mich die zunehmende Globalisierung. Es gibt kaum noch „das“ deutsche Unternehmen. Viele Unternehmen in Deutschland, die mir begegnen, haben entweder selbst ausländische Tochtergesellschaften, gehören einem internationalen Investor, sie produzieren irgendwo im Ausland oder sie liefern irgendwo ins Ausland. Dieses Verwobensein in internationale Märkte ist sowieso schon seit Jahren der Fall, nimmt aber weiter extrem zu.
Wo bieten sich für Unternehmen bei all diesen Herausforderungen einer neuen Arbeitswelt vor allem auch neue Chancen?
Gerade das Thema Lernen befindet sich insbesondere seit der Pandemie in einem unglaublich konstruktiven, positiven Wandel. Lernen hat nicht mehr dieses Nadelöhr wie früher. Da hast du einen guten Lehrenden gebraucht, der mehreren Personen gleichzeitig Dinge vermittelt. Der vor der Herausforderung stand, einen vom Wissensstand sehr inhomogenen Personenkreis zu bedienen. Heute haben wir die Möglichkeit, uns aus der Retorte ganz viel Basiswissen anzueignen. Jeder auf der Welt, egal in welchem Township er sitzt, hat mit einem Internetzugang überall auf dieser Welt Zugang zu Informationen, zu Wissen auf höchstem Niveau und das ganz häufig völlig kostenlos. Das bietet natürlich unglaubliche Lernchancen für das Individuum. Aber auch Unternehmen eröffnet es neue Möglichkeiten, deutlich schlankere Prozesse aufzusetzen.
Nehmen wir mal zum Beispiel das Thema Gabelstapler-Schulungen oder Hygieneschulungen, die man gesetzlich vorgeschrieben jedes Jahr wiederholen muss. Da drehst du als Unternehmen heute ein Video und alle Betroffenen schauen sich dieses Video an und machen hinterher noch ein Quiz, das den Wissenstand abprüft. Diejenigen, die seit Jahren in dem Betrieb sind, können ihre Schulung ungleich schneller absolvieren. In diesem Bereich ist ganz viel Dynamik drin und man kann hier heute so unglaublich viel verändern.
Oder betrachten wir den Bereich des agilen Lerncoachings, bei dem ein Kurator den Lernenden in Online-Sessions betreut und den Content mundgerecht zur Verfügung stellt, den der Lernende braucht. Man muss Leute heute nicht mehr in einen Seminarraum pferchen. Es gibt so viele neue und spannende Möglichkeiten des Lernens.
New Work hat einen großen Anteil daran, dass der Mensch mehr in den Fokus der Veränderung rückt. Dabei sollten sich Menschen immer auch in ihrer Haltung hinterfragen, entwickeln, und sich neue Skills aneignen. Dies wirkt sich natürlich auch auf den markenkulturellen Prozess im Unternehmen aus. Inwiefern sollte sich im Kontext von New Work die Haltung von Führungskräften und Mitarbeitenden verändern?
In einer Zeit, in der sich so viel wandelt, kann man in einer starren Hierarchie nicht angemessen auf Veränderungen reagieren. Man denkt sich auf der obersten Führungsebene etwas aus, kaskadiert es dann runter über die Bereichsleiter, Abteilungsleiter und Teamleiter, bis es in der Belegschaft irgendwann angekommen ist. Zudem hat man so oftmals nur die Gedanken und Meinungen der obersten Führungsebene mitberücksichtigt. Das, was an der Basis passiert, geht dabei oft verloren. Und bis Rückmeldungen von der Basis zurückgespielt werden, kostet wieder viel Zeit. So gehen Wochen oder sogar Monate ins Land, bis Veränderungen umgesetzt werden. Diese Monate kann sich allerdings heute kein Unternehmen mehr leisten. In diesem dynamischen Wandel müssen wir schnell reagieren. Es gilt mehr denn je, die Schwarmintelligenz und das vernetzte Wissen zu nutzen sowie die Menschen einzubinden.
Es geht um einen Mindshift, Kontrolle loszulassen, Vertrauen zu geben und Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen dieses Vertrauen auf fruchtbaren Boden fällt. Wobei Menschen gleichzeitig lernen, dass mit diesem Vertrauen auch eine Verantwortung einhergeht. Es braucht ein Aushandeln, Erklären, ein Sich-Committen und Sich-Einigen auf neue Formen von Entscheidungsprozessen. Gerade diese Entscheidungsprozesse sind ein ganz wesentlicher Faktor, den es bei New Work anzuschauen und neu zu definieren gilt.
Was begeistert Dich ganz persönlich am Thema New Work?
Ich bin einfach davon überzeugt, dass wir Menschen zu Großartigem fähig sind. Und wenn wir etwas mit Menschen gemeinsam tun, echte Augenhöhe leben und auch mal was hinterfragen dürfen, dann können so großartige neue Lösungen entstehen, auf die ein Einzelner einfach nicht kommt. Anstatt Hierarchiegefälle brauchen wir wirklich eine Begegnung, bei der die Haltung das Entscheidende ist. Es entsteht eine Kultur, in der jeder seine Ideen einbringen, Fehler eingestehen und in der man voneinander lernen kann.
Wir sind so oft gezwungen, unseren Charakter zu verbiegen und uns irgendwie anders zu verhalten, als wir es aus tiefster Seele eigentlich gern tun würden. In der Hierarchie oder in komischen Machtverhältnissen sind wir mitunter gezwungen, gegen unsere Werte zu handeln. Das widerstrebt mir extrem. Ich bin eine begeisterte Vorstreiterin dafür, unsere Werte anzuschauen. Dabei entdecken wir oft große Unterschiede im Werteverständnis. Doch nur wenn wir die Werte des Gegenübers respektieren finden wir trotz Unterschiedlichkeit einen Weg, den wir gemeinsam gestalten können.